Atem und Empfindungsbewusstsein

Dieses Thema liegt mir besonders am Herzen, über dieses Thema schrieb ich auch meine Diplomarbeit zum Abschluss meiner Ausbildung. Hier einige Auszüge daraus:

  • Von den (nach C.G. Jung) insgesamt vier unterscheidbaren Funktionen: Empfinden, Fühlen, Denken und Intuieren, werden uns in dieser Arbeit vor allem die Unterscheidung von Empfindung und Gefühl interessieren. Viel ist in neuerer Zeit geschrieben worden, um uns auf die Überbetonung des Denkens und die Vernachlässigung der Gefühle aufmerksam zu machen. Ziel jedes Selbsterfahrungsweges, der den Menschen in seiner Weiterentwicklung unterstütezn möchte, muss jedoch sein, alle vier Funktionen ganzheitlich zu integrieren. Der Weg des Erfahrbaren Atems kann das in einzigartiger Weise tun, indem er an der ursprünglichsten aller Funktionen – der Empfindung ansetzt. „Eine der köstlichsten Gaben des Atmens ist die ganzheitliche Empfindungsfähigkeit, die uns ein grosses Feld an Bewusstseinserweiterung ermöglicht“ (Ilse Middendorf, 1984).
  • Die Funktionen Denken und Fühlen schliessen sich in der gleichzeitigen Wahrnehmung aus. Beiden ist jedoch gemeinsam, dass sie rationale Funktionen sind, also mit Bewertungen arbeiten. Die Funktionen Empfinden und Intuieren schliessen sich ebenfalls in der gleichzeitigen Wahrnehmung aus. Wichtiger für unser Thema ist aber, dass diese beiden Funktionen nicht durch Wertungen und Urteile erfassen, sondern ausschliesslich mit der Wahrnehmung arbeiten. Jung nennt diese die irrationalen Funktionen. Hierbei nimmt die Empfindung (mit Hilfe der bewussten Sinnestätigkeit) die Dinge so wahr, wie sie sind und nicht anders.
  • Die Sinnesquelle ist die primäre Erkenntnisquelle des Menschen, hier gründen sich auch Erleben und Erfahrung. „Die Empfindung sagt mir, dass da etwas ist. Das Gefühl sagt mir, ob es mir gefällt oder nicht. Das Denken sagt mir, was es ist. Die Intuition sagt mir, woher es kommt und wohin es geht“ (C.G. Jung)
  • Hier wird schon deutlich, dass es für den Menschen schwierig ist, Sinnesempfindungen zu identifizieren und – vor allem – von Gefühlen zu unterscheiden. Was wir mit den Sinnen aufnehmen, wird bereits im gleichen Moment verarbeitet und bewertet. Ein Beispiel dazu: Gebe ich jemandem einen Klaps auf die Hand, reagiert derjenige nicht auf die Empfindung (z.B. „Brennen“), sondern auf die daraus entstandenen Gefühle (z.B. Schmerz oder Aggression). Menschliche Handlungen resultieren also aus den Gefühlen und nicht aus den ursprünglichen Empfindungen.
  • Die ursprüngliche Empfindungsfähigkeit wird bereits im Säuglings- und Kleinkindalter gestört und blockiert. Die Reinheit früherer Empfindungen wird durch die uns umgebenden sozialen Kräfte stark beeinträchtigt. Wir haben gelernt, unseren Empfindungen zu misstrauen. Je nachdem, welche Erfahrungen wir hier gemacht haben, werden im Laufe der Zeit bestimmte Gefühle an Empfindungen gekoppelt. Gefühle beinhalten jedoch, wie wir gesehen haben, immer bereits eine subjektive Färbung und Wertung – letztlich eine Voreingenommenheit. Dies drückt sich aus als verzerrte Wahrnehmungen, starre Erwartungen oder ganz bestimmte Muster, mit denen wir dann immer wieder an die Dinge herangehen. Empfindungen, die mit negativen Gefühlen besetzt sind, versuchen wir dann bewusst oder unbewusst im weiteren Leben zu vermeiden. So sind unsere Handlungen als Erwachsene von dem bestimmt, was von unserer Empfindungsfähigkeit noch übrig geblieben ist.
  • Der Fluss der Empfindungen in uns ist aber in Wahrheit immer wieder neu – und nur hier kann der Mensch wieder Anschluss finden an das, was seine Fähigkeiten sind, wo seine Kräfte schlummern und wo sein Weg beginnt.